Jürgen Römer im Interview

Herr Römer, wie sind Sie damals eigentlich auf Textadventures gestoßen?

Da haben zwei Dinge eine Rolle gespielt: Zum einen bin ich Journalist. Und unter Schreiberlingen hätscheln viele die Idee, nebenbei mal einen Krimi zu schreiben. Möglichst mit einem Antreiber aus der höheren Verlagshierarchie als grausam zerstückelte Leiche.

Zum anderen – und jetzt wird‘s schwer, nicht in haltlose Schwärmerei zu verfallen – tobte gerade die technische Entwicklung der Homecomputer. Einer meiner Kollegen hatte den Traum jedes Computerfreaks aus den Staaten mitgebracht, den ersten Apple-Rechner. Leider ohne jede Gebrauchsanleitung. Ich selbst hatte gerade upgedatet: vom kleinen ZX81 auf die tolle Technik des C64. Mit affenschneller CPU! Mit umfangreichem Basic! Mit Datenspeicherung! Mit Farben und Sprites! Und mit 64 KB Speicherplatz! Ein Traum! Damals jedenfalls.

Auf jeden Fall aber gab es die heftige Herausforderung, nun praktische oder gar geniale Programme zu schreiben, zu diskutieren, zu verbessern. So bot sich jetzt die verlockende Möglichkeit, einen Krimi zu schreiben, den der User selber lösen muss, weil nicht automatisch im letzten Kapitel alles aufgedröselt wird. Es war sogar möglich, verschiedene Lösungen zuzulassen oder mehrere Fälle zu kombinieren. Die Idee war faszinierend.

Dann fand ich in einer Computer-Zeitschrift einen Beitrag, der zeigte, wie ein Text-Adventure programmtechnisch läuft. Und damit ging es los. Erst entstanden ein paar Testteile, die in einer Mittagspause von den Kollegen gelöst werden konnten. Und dann kam Cromwell House.

Wie kam die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Axis Komputerkunst zustande?

In unserer Redaktion waren es gerade mal drei Computerfreaks von 120 Redakteuren, die in den Mittagspausen zusammensaßen und neue Programmideen besprachen. Jeder kannte auch »draußen« den einen oder anderen Menschen, der mit der neuen Technik was anfangen konnte. Und so lernte ich auch, per Zufall, die Axis-Leute kennen. »Wenn du schon sowas machst, können wir das auch verkaufen«, sagten sie. Was dann auch passierte.

Die Spiele von Axis wurden von Ariolasoft mit zweiseitigen Anzeigen in Zeitschriften sehr aufwändig beworben. Wissen Sie, wie oft Cromwell House verkauft wurde?

Ich hatte bei Axis einen guten Vertrag, der auch eine Umsatzbeteiligung vorsah. Nach den Korrespondenzen und Abrechnungen von Axis zu Cromwell House ist das Spiel zwischen September 1985 und April 1986 mindestens 6000 mal verkauft worden. Genauer kann ich es nicht sagen, weil die Abrechnungen zum Teil fehlen und im Übrigen mehr als chaotisch waren.

Haben Sie damals persönlich Feedback von Spielern erhalten?

Es gab noch kein Internet, es gab keine E-Mail. Und so fanden nur ganz wenige Zuschriften auf dem Umweg über das Axis-Büro zu mir. Ein User schrieb: »Der Parser (bei Cromwell House und Mord an Bord) ist zu simpel. Da kann man ja nicht mal ganze Sätze eingeben.« Damit hatte er leider recht. Und so entstand die Idee zum Adventure mit dem paranoiden Computer des Kommissars.

In einem Artikel über Axis Komputerkunst in der Zeitschrift HC (4/1986) wurde eben dieses Adventure erwähnt, an dem Sie damals arbeiteten. Leider wurde es aber nicht mehr veröffentlicht. Worum sollte es in diesem Spiel gehen? Und wie weit war die Arbeit daran fortgeschritten?

Der Anlass war die Kritik am simplen Parser bei Cromwell House. Und ein Artikel über das Programm Lisa, das mit relativ simplen Methoden ein Psychiater-Gespräch simuliert. Unter anderem damit, dass es die Eingaben des Users speichert und nach kurzer Zeit als Fragen wieder ausgibt. Frage: »Liebst du eher deinen Vater oder deine Mutter?« Antwort: »Meinen Vater.« Dann, nach anderen Fragen: »Warum liebst du deinen Vater...« usw. usw.

Gedacht war an einen Fall, bei dem der Kommissar am Ende jedes Arbeitstages seine Resultate in seinen Computer eingibt. Und dann fängt der Computer an, zu fragen. Erst normal. Und dann immer schriller...

Schöne Idee, aber dann stellte sich heraus, dass das eine Aufgabe war, die neben der normalen Arbeit in der Redaktion nicht zu leisten war. Es musste ja nicht nur ein toller Parser geschrieben werden, der auch mit den Nickeligkeiten der deutschen Sprache zurechtkam. Dazu auch noch Unmengen von Texten. Schließlich sind Computer zwar schnell, aber dumm. Und alle witzigen, weisen oder wahren Antworten entstehen nicht durch Geistesblitze, sondern müssen vorher erdacht und ins Textverzeichnis eingegeben werden. Das war leider ‘ne Nummer zu groß.

Im Gegensatz zu Ihren Spielen besitzen alle anderen Adventures von Axis wie Atlantis oder 0° Nord auch Grafiken. Wollten Sie keine Grafiken in Ihren Spielen?

Die wollte ich wirklich nicht. Das war kein verschrobener Purismus sondern hatte mehrere Gründe: Als Schreiber war ich natürlich davon überzeugt, dass das Kino im Kopf allemal bessere Bilder liefert als eine raspelige C64-Grafik. Mit Text, auch wenn es nur mickrige 500 Anschläge pro Bildschirmseite waren, konnte man kleine Hinweise geben, etwas herumblödeln, falsche Spuren legen. In einer Grafik konnte man allenfalls ein paar Sprechblasen einbauen – das war kein Vergleich. Und dann kam da noch die Technik. Satte 170 KB Speicherplatz auf einer Diskette ließen kaum zu, ein Adventure mit vielen Grafiken zu verzieren. Also wurde nur getextet.

Haben Sie sich nach der Veröffentlichung Ihrer beiden Spiele noch weiterhin mit Textadventures beschäftigt?

Nein, so gut wie nie. Die Technik wurde schneller und facettenreicher, so dass ein gutes Adventure im Alleingang nicht mehr zu wuppen war. Und auch in meinem Job änderte sich einiges. Damit war dieses Adventure für mich vorbei. Schade eigentlich...

Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, unsere Fragen zu beantworten.

Erschienen in The Parser Jg. 1 (2010), N° 2, November 2010, S. 17.

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