Sand-Dancing Inform

> Aaron Reed: Creating Interactive Fiction with Inform 7

von Martin Barth

Aaron Reed veröffentlichte im August 2010 das Einsteigerbuch »Creating Interactive Fiction with Inform 7«. Es bietet einen guten Einstieg in die Verwendung dieses Autorensystems und richtet sich an Leser, die sich am Thema schon versucht haben.

»Die natürliche Sprache zum Schreiben von Interactive Fiction ist die natürliche Sprache« bringt Entwickler Graham Nelson sein System auf den Punkt. Objektdefinitionen wie Räume oder Dinge werden in dieser einsteigerfreundlichen Sprache in Form von mehr oder weniger natürlich wirkenden Aussagen wie »Kitchen is a room« codiert. Ein paar Räume mit Standardeigenschaften sind damit schnell errichtet, in denen sich der Spieler bewegen kann, doch für komplexere Implementierungen ist eine vertiefte Beschäftigung mit dem in I7 integrierten Manual notwendig. Dieses treibt Einsteiger bisweilen in die Verzweiflung. So schön strukturiert es nach Zusammenhängen wie Things, Kinds, Scenes oder Relations auch sein mag, so üppig es auch mit Beispielen ausgestattet ist, wo steht denn nun die Lösung für mein Problem? Auch das Einsteiger-Tutorial von Jim Aikin versagt umso mehr, je konkreter die Fragestellung und je komplexer ein Problem ist.

Wow! Mehr davon!

So hat sich der amerikanische Mediengestalter, Schriftsteller und exaltierte IF-Autor Aaron A. Reed daran gemacht, Inform 7 profund zu vermitteln. Und zwar ohne zusammenhangslose Codefetzen, sondern anhand eines ganzen Spiels, das über zwölf Kapitel vom Konzept bis zur Verbreitung des Werkes entwickelt wird. Es geht darin um die Geschichte eines in der Wüste gestrandeten jungen Autofahrers mit indianischen Wurzeln, der an einer schweren Entscheidung zu tragen hat und draußen in der Wüste mit spiritueller Hilfe von »tierischen Begleitern«, wie sie vom Marqis Chakotay der Voyager-Staffel von Star Trek bekannt sind, Erkenntnis finden kann. Wichtigster Begleiter ist eine Eidechsenart, die Reeds Oma die »Sand-dancer« nannte und damit dem Spiel seinen Namen gab. Es hat mehrere mögliche Ausgänge, der Spielercharakter wird über situationsbedingte Erinnerungen entwickelt und er kann Talente wie Stärke, Mut, Geist oder Freiheit erlangen. Sie bestimmen die weiteren Handlungsmöglichkeiten des Protagonisten.

Reed macht dem Leser mit der zweiseitigen Handlungsbescheibung gleich am Anfang des Buches den Mund wässrig: Ein Anfänger darf sich in die Zone zwischen Spiel und moderner Literatur vorwagen, sich mit moderner interaktiver Literatur beschäftigen, die eine Geschichte über die Erforschung von Szenerien in einer durchdachten Spielewelt entwickelt und erzählerische Verzweigungen zulässt. Wow! Mehr davon!

Plan oder Entwurf?

Nach dem Vorwort von Don Woods, Co-Autor des legendären Ur-Spiels Colossal Cave Adventure von 1976, und zwei einleitenden Kapiteln über Interactive Fiction im Allgemeinen und die Installation von Inform 7 im Besonderen geht es los. Über die folgenden zehn Kapitel soll dieses Konzept umgesetzt werden. Doch halt, welches Konzept? Diese zweiseitige Beschreibung? Tatsächlich wird man das Gefühl nicht los, im ganzen Buch keine Konzeptarbeit zu finden. Anhand einer groben Vorstellung geht es von Kapitel zu Kapitel darum, wie die soweit entwickelte Geschichte noch erweitert werden kann. Diese intuitive Vorgehensweise mag für einen Autor wie Reed funktionieren, der bereits ein Mammut-Textadventure mit 380.000 Wörtern Quelltext hervorgebracht hat, Einsteiger sollten sich diese verzettelungsgefährdete Vorgehensweise nicht zu Eigen machen. Es gibt im ganzen Buch nur einige wenige konzeptionelle Hinweise, die sich weitgehend in schriftstellerischen Tipps erschöpfen. Aber das Buch ist ja auch kein Lehrbuch für Game-Designer, sondern ein Einstieg in Inform 7.

Und dahingehend legt das Buch richtig los: Bereits das Einstiegskapitel 3 über die Entstehung einer Spielewelt mit seinen Räumen und Dingen führt Schritt für Schritt zur groben Struktur des Spiels, die für deutsche Leser bei parallelem Einsatz der GerX-Spracherweiterung und den damit notwendigen printed name- und understand-Anweisungen schon im ersten praktischen Kapitel auf viereinhalb A4-Seiten Quellcode wächst – noch ohne Raumbeschreibungen, deren Möglichkeiten im nächsten Kapitel behandelt werden. Schon in diesem Einstieg werden Konzepte spielerisch verwendet, die sonst in hinteren Kapiteln unter »fortgeschrittene Programmierung« landen. So wird der Leser gleich am Anfang in Relations und Rulebooks eingeführt und ohne Verschnaufpause durch alle wesentlichen Konzepte der Inform 7-Programmierung gestoßen. Nur wer sich schon ein wenig mit Inform 7 beschäftigt hat, ist an keiner Stelle überfordert, Einsteiger dürften jedoch ins Schwitzen geraten.

Ein Buch mit Stil

Auch Einsteiger mit Programmierhintergrund dürften irritiert sein, weil zentrale Programmierkonzepte wie Schleifenkonstruktionen oder Variablen erst weit hinten im Buch eine Rolle spielen und Zusammenhänge wie die eigenwillige Handhabung des Scope völlig unterschlagen werden. Verwirrend sind auch die vielen unstrukturierten Logeleien, die sich über eine ganze Seite etwa damit beschäftigen können, ob etwas gesehen wird, wenn die Notbeleuchtung aus, aber die Taschenlampe an ist oder der Scheinwerfer an und die Taschenlampe aus, dies aber nur in einem bestimmten Raum. Der Überblick verringert sich mit der immanenten Unstrukturiertheit der natürlichen Sprache. Reed verstrickt sich so sehr in unübersichtliche Logeleien, dass deren Wirkung überhaupt nicht mehr ohne Skizzen antizipiert werden kann. Und bei den vielen konditionalen Permutationsmöglichkeiten schon gar nicht getestet. Es wäre besser gewesen, dem Einsteiger Strategien aufzuzeigen, den Überblick zu behalten.

Im Laufe des Lesens wird immer deutlicher, wie die thematische Herangehensweise des Buches und der persönliche Stil Reeds zusammenfallen. Dieser Eindruck gipfelt recht früh in seiner vorgeschlagenen BENT-Methode – Bracket Every Notable Thing. Interessant erscheinende Begriffe in Beschreibungstexten sollen eckig eingeklammert und so zu Variablen gemacht werden, die daraufhin nur noch als Szenerie definiert und eigens beschrieben werden müssen, um sie untersuchbar zu machen. Es mag eine praktische Methode sein, die aber nur in Ermangelung eines detaillierten Konzepts notwendig ist und sich auch nicht ohne Weiteres auf nicht-englische IF übertragen lässt. Zu diesem persönlichen Stil gehört auch der exzessive Gebrauch von Extensions bis hinein in die im Buch verstreuten Übungen, deren Lösung sich am Ende eines jeden Kapitels nachschlagen lässt. Dies ist zwar insoweit in Ordnung als das Buch englischsprachige IF behandelt, verdirbt das Wow!-Erlebnis aber ein wenig und wirkt geschummelt. Über vier Seiten wird auch die noch unveröffentlichte Extension Threaded Conversation von Emily Short ausgebreitet, die in einer unbestimmten Zukunft zum I7-Kern stoßen soll. Sand-dancer selbst nutzt acht Extensions, in denen englischsprachige Standardmeldungen für deutsche IF überschrieben werden müssten, um die Beispiele auch auf deutsch umzusetzen. Emily Shorts gern zitierte Plurality-Extension ist für den nicht-angelsächsischen Sprachraum gänzlich ungeeignet.

Fortgeschrittene Einsteiger

Ich habe viel gelernt: Wie die Rulebooks arbeiten (ein Ding der Unmöglichkeit anhand des built-in-Manuals), interessante Debugging-Funktionen wie RULES, RELATIONS, ACTIONS oder TREE (unauffindbar im Manual), die bislang nie genutzen Hilfestellungen des Inform 7-Frontends und Konzepte wie die Relations. Der Hauch moderner IF war spürbar.

Aber ich bin kein Einsteiger. Es ist ein Buch für Nicht-mehr-ganz-Einsteiger, die am Manual und an den vielen Internet-Ressourcen bereits verzweifelt sind. Für sie bietet das Buch eine empfehlenswerte Möglichkeit, viel Zeit beim Einstieg in diese doch sehr komplexe Materie zu sparen. Und es könnte zu mehr Spielen von hoher Qualität führen.

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Erschienen in The Parser Jg. 1 (2010), N° 2, November 2010, S. 14 f.