en One Eye Open (09/2010)

Der Spieler hat ein komfortables Leben als Versuchskaninchen der Corona Corporation. Die Untersuchungen sind abgeschlossen, der letzte Test läuft an. Damit beginnt ein Albtraum, in dem die Grenzen zwischen Realität und Wahnsinn verschwimmen. Dritter Platz auf der 16. IF-Comp 2010 und zweiter Platz bei den Miss Congeniality 2010 Awards (zusammen mit The Blind House).

Review von proc 26.10.2010

Plattform:Glulx
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Review von proc 26.10.2010     ausblenden

Dieser Beitrag enthält Spoiler, die den Spielspaß verderben. Wer das Spiel noch nicht gespielt hat, sollte nicht weiterlesen.

Das Spiel eines Autorenteams, dessen technische Umsetzung die IntroComp-Siegerin 2008 Carolyn VanEseltine übernommen hat Phoenix's Landing: Destiny«), führt sich martialisch als Horror-Game mit Blut, Leichen, Tabak, Gewalt und allerhand weiteren Inhalten für Erwachsene ein. Für die Story zeichnet sich der IF-Debütant Colin Sandel verantwortlich. Auch die Beschreibung klingt vielversprechend: »Wenn sich zwei Augen schließen, öffnet sich das dritte. Du hast Geld gebraucht, die Corona Labs brauchten ein Testsubjekt. Du hast dich beworben und sie haben dich akzeptiert. (...) Du kannst sogar überleben, wenn du mit einem offenen Auge in diesen Albtraum gehst.« Um es vorwegzunehmen: Das Spiel hält, was es verspricht. Ich bin in zwei Stunden nicht durchgekommen und habe in drei Anläufen drei verschieden wirkende Albträume gespielt. Der bislang faszinierendste Beitrag der IF-Comp 2010.

Hier beginnen die gruseligen Spoiler.

Die Story ist einfach: Ich habe ein komfortables Leben als Versuchskaninchen der Corona Corporation, Dr. Marnie Ephart klopft um halb Acht an die Tür und kündigt das Ende der Tests an. Der Entspurt scheint in einem psychologischen Test zu bestehen, dessen Ergebnis sich auf den Spielverlauf auswirkt. Machen, Heimgehen, Fertig. Doch kaum ist der Test beendet, beginnt der Albtraum. Personen, Stimmen, Objekte führen mich herum und auch in die Irre. Ich habe nach einigen Zügen überhaupt keine Ahnung, was los ist, worin das Ziel besteht und was als nächstes passieren soll. Ein Hinweissystem besteht in der Konzentration: Sich auf etwas konzentrieren führt zu weiteren Hinweisen oder Verwirrungen, eine hinreichende Wichtigkeit des Objekts der Konzentration vorausgesetzt. Überall liegen Zettel herum, hängen Pläne an der Wand, tauchen Fotos und andere Verkehrsschilder für das weitere Geschehen auf, aus denen ich mir keinen Reim machen kann. Und wenn, reimt er sich nach ein paar Zügen nicht mehr.

Nach und nach wird das Ausmaß der Institution klar, an einer Stelle erhält man auch einen blutbespritzten Plan eines Stockwerks mit seinen geheimnisvollen Räumen. Er ist so gut gestaltet, dass ich ihn mir als Poster im Klo aufhängen würde. Da ist ein Testraum, der durch eine verspiegelte Scheibe eingesehen werden kann, ein Leichenhaus, eine Wäscherei einschließlich Wäscheschacht, ein ziemlich langsamer Aufzug, der für vier Stockwerke acht Züge braucht; überall auf dem Weg sind Leichen und Leichenteile mit weiteren Hinweisen verstreut. Ich habe das Gefühl, das Spiel zwanzig mal durchlaufen zu müssen um überhaupt zu wissen, was da los ist.

Dreimal habe ich es versucht, das dritte Mal mit dem Walkthrough. Das Ergebnis: Inception, jedesmal anders. Das Herumgestocher in den dunklen Geheimnissen dieser Institution verursacht zu keiner Zeit Langeweile. Im Gegenteil, die Geschichte wird nach und nach entwickelt, bruchstückhaft wird immer klarer dass ich mich möglicherweise nicht in einer realen, sondern mindenstens in der fünfzehnten Stufe einer  Inception-Welt bewege. Mind control erklärt einiges, so werden die Befreiungsversuche mutiger und ich sehe mich plötzlich mit chirurgischen Sägen an Leichen hantieren, mit einer Feueraxt um mich schlagen und wildfremde Leute erschießen. Nein, nicht einfach erschießen, das Körperteil und die Wirkung meiner Handlung wird chirurgisch eindrücklich geschildert. Es macht auf Dauer richtig Spaß, dies alles überhaupt tun zu können.

Dabei kommt keiner der Sinne zu kurz. LISTEN beschreibt an einer Stelle die Stille, »aber keine tröstliche Ruhe, sondern die Ruhe einer Anstalt, unterbrochen vom gelegentlichen Geplätscher eines Tropfens oder einem von der Wand gedämpften mechanischen Rumoren.« Oder ich benutze meinen Zinken: »Die Luft ist von einem merkwürdigen Geruch durchdrungen, halb steril und halb biologisch.« Die Geschichte entwickelt sich in den Sinneseindrücken der großartigen Horror-Stimmung chirurgischer Abläufe, die bisweilen in Nebensätzen erzählt werden und nach und nach eine nebelige Vorstellung von dem erzeugen, was sein müsste und was kommen könnte, um diese Vorstellung bald wieder zu zerschlagen.

Auch wenn ich es nicht bis zum »richtigen« der vielen möglichen Enden gebracht habe, wenn es dieses denn überhaupt gibt: Der Eindruck während der Erkundung dieser Horrorwelt, die vielfältigen Aktionsmöglichkeiten und die sagenhaft grauenvolle Stimmung haben mich restlos überzeugt. Das Spiel ist nicht ganz fehlerfrei und in zwei Stunden sicher nicht zu schaffen, das kann ich einem solch komplexen Spiel mit möglicherweise gewolltem Nicht-Ausgang aber nachsehen. Ich werde es nach der IF-Comp noch ein paar mal versuchen.

Zuletzt geändert am 08.11.2010 20:04 Uhr.

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