Homo Ludens Digitalis:
Das Berliner Computerspielemuseum
Ein Besuch von Günther Luxbacher
Musealisierung digital-interaktiver Unterhaltung
Museal werden technische Objekte, deren Gebrauchswert vergangenen Zeiten zuzuschreiben ist, und denen einst eine gewisse gesellschaftliche Bedeutung zukam. Das bedeutet aber nicht, dass die gesamte Objektkategorie veraltet ist. Es ist eben nur eine bestimmte Phase vorüber, quasi der Lebenszyklus einer bestimmten Objektkategorie. Die Kategorie selbst kann sich – mit völlig neuen Möglichkeiten versehen – noch immer im wirtschaftlichen Aufstieg befinden. Musealisierung bedeutet also nicht einfach die Erinnerung an etwas Gewesenes, das seinen Höhepunkt überschritten hat, sondern mehr die Dokumentation eines bestimmten, abgeschlossenen Abschnitts einer Entwicklung, deren Fortsetzung aktuell noch sehr lebendig sein kann.
Denn nicht nur die Automobil-, sondern auch die Games-Industrie setzen heute weltweit hunderte Milliarden um. Namhafte Programmierer, Gestalter und Designer entwickeln immer wieder neue Spielsituationen, deren Ausgeklügeltheit nicht nur das Reaktions-Nervenkostüm, sondern mitunter auch die Köpfe ganzer Jugendgruppen (meistens Jungens) zum Rauchen bringt. Damit wären auch gleich alle drei Grundkategorien menschlichen Verhaltens angesprochen, in welche die deutsche Philosophie, Geschichtswissenschaft und Soziologie die Menschen einteilte: den homo faber als arbeitender, handwerklich Tätiger, den homo oeconomicus als Nutzenoptimierer und den homo ludens als den spielenden Menschen als gesellschaftlichen Kulturfaktor. Es ist nur folgerichtig, dass daraus heute der „homo ludens digitalis“ gemacht wurde, eine bestimmte Subkategorie, die auf eine hochentwickelte Informationstechnologie aufsetzt. Deshalb erscheint der Begriff „Game“ als abgrenzender Begriff für eine ganz bestimmte Art von Unterhaltung und Vergnügen auch brauchbar. Das interaktiv Digitale erweitert den Erlebnishorizont, schränkt ihn aber auch zugleich ein, da der Spielende – selbst bei einem noch so aufgefeilten Game – Gefangener einer beschränkten informationellen Endlosschleife ist, aus der er letztlich nur durch Betätigung des Aus-Knopfes fliehen kann.
Bereits die Anfänge digitaler Spielerei waren interaktiv, wenngleich in einem viel simpleren Maß. Und diese Beschränktheit bedingt heute auch die Kategorisierung als abgeschlossene Entwicklung und damit als Museumsstück. Doch wie erhält, archiviert, musealisiert man aber diesen abgeschlossenen ersten (?) Abschnitt der Geschichte des homo ludens digitalis? Die Spielkonsole, der Monitor oder der Datenträger, all diese der Hardware zugezählten Objekte machen ja nur einen kleinen, sogar den unbedeutenderen Bestandteil der Game-Geschichte aus. Für Kunststoff-Konservierung und -Renovierung gibt es heute Spezialisten und z.B. das Deutsche Kunststoff-Museum in Oberhausen oder jenes in Düsseldorf.
Aufgaben und Probleme
Dieser Aufgabe stellte und stellt sich als erstes das Computerspielemuseum Berlin (CSM), das 1997 eröffnuet wurde. Es handelte sich dabei um die weltweit erste ständige Ausstellung zur digitalen interaktiven Unterhaltungskultur. Allerdings gab es erst seit 2011 eine Dauerausstellung. Diese trägt den vielleicht nicht ganz geglückten Titel „Computerspiele. Evolution eines Mediums“. Denn ein Computer ist zweifellos ein eigenes Medium, ein darauf laufendes Spiel aber nicht. Vielmehr handelt es sich um ein besonderes Genre der Computernutzung.
Als Trägerverein der inzwischen anerkannten Institution fungiert der Förderverein für Jugend und Sozialarbeit (fjs e.V.), der seit Jahrzehnten Objekte sammelt. 2017 erhielt die Schau den Deutschen Computerspielpreis in der Kategorie "Sonderpreis der Jury". Neben dem Internationalen Museumsbund ist die Institution Mitglied der European Federation of Game Archives Museums and Preservation Projects (EFGAMP e.V.), die sie sogar mitbegründet hat. Es verfügt derzeit über ein Inventar von etwa 35.000 originalen Datenträgern mit Computerspielen und Anwendungen, an die 350 Konsolen und Computer- und Automatensysteme, darüber hinaus auch Medienobjekte, Videomaterial und Merchandising-Artikel. Neben Sonderausstellungen bietet es medienpädagogische Angebote, Zusammenkünfte und Publikationen.
Gefördert vom Berliner Senat verfolgt das Museum das hehre Ziel, das Verständnis von digitalen interaktiven Unterhaltungsmedien zu vertiefen und so die Medienkompetenz zu erhöhen. Es strebt nach Mitarbeit in der Wissenschaft und hat sich zur Einhaltung der Kriterien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis verpflichtet. Nicht nur stellt es keine Produkte aus, die gegen ethische Normen oder gesetzlichen Vorgaben verstoßen, sondern es sammelt sie nicht einmal. Dazu zählt das Museum auch Objekte mit ungeklärten Lizenz- und Eigentumsrechten. Das bedeutet dann wohl, dass derartige Produkte selbst für die Geschichtswissenschaft nie greifbar sein werden, denn andere Institutionen zählen das Sammelgebiet wohl kaum zu ihren Aufgaben. Niemand wird dann jemals investigativ über die bad guys schreiben können. Wer weiß, vielleicht bedeutet diese Sammelabstinenz für diese sogar einen Vorteil, wenn einst niemand ihre Spuren wird zurückverfolgen können? Ist diese Art der kulturellen Bereinigung wirklich wünschenswert? Im Vergleich dazu waren sogar die Bibliotheken des 19. Jahrhunderts mit ihren – meist pornographisches Material enthaltenden – „Giftschränken“ liberaler.
Das CSM steht natürlich wie viele andere Institutionen der Software-Industrie auch vor dem Problem der Langzeitarchivierung digitaler Informationen. Es geht daher darum, sowohl die üblichen dreidimensionalen Sachzeugnisse zu konservieren und zu bewahren als auch die darauf gespeicherten elektromagnetischen Zeichen. Die Bewahrung einer Zoll-Diskette von 1990 ohne dem vollständig wiederauslesbaren Satz der darauf aufgezeichneten Symbole wäre selbst für ein Computermuseum wie das Nixdorf-Museum in Paderborn relativ wertlos, für ein Computerspielemuseum hingegen ist sie völlig wertlos. Das CSM steht daher in ganz besonders hohem Maße vor dem Problem der Bewahrung digitaler Artefakte. Die Mitarbeiter haben sich dem Problem gestellt und haben in Zusammenarbeit mit drei Nationalbibliotheken in dem Europäischen Forschungsprojekt KEEP (Keeping Emulation Environments Portable) Konzepte und Werkzeuge zur hardwareunabhängigen Bewahrung digitaler Kulturgüter entwickelt und mit dem BMBF ein deutsches Kompetenznetzwerk zur digitalen Langzeitarchivierung aufgebaut. Auch als Historiker und abseits der ganzen Spielerei kann man nur hoffen, dass die heute erzeugten Massendaten nach dem nächsten Programm-Update nicht für immer im Orkus der Geschichte verschwinden.
Sammlung und Ausstellungen
In der Dauerausstellung sind an die 300 Exponate, darunter 70 Spielmaschinen aufgestellt, und zwar von den ersten Münzeinwurf-Automaten bis zu ausgeklügelten, perfekt gestylten und designten Multimedia-Erlebniswelten, die heutige PCs bieten.
Der Besucher kann also auf Original-Konsolen digitale Spiele, wie sie gegen Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre aufkamen, selbst erleben. Teilweise sind diese sogar in einem dem Zeitgeist nachempfundenen Umfeld inszeniert, etwa einem typischen Wohnzimmer der 1980er Jahre. Besuchern, die heute auf die 60 Jahre zugehen, wird manche Tapete und manches Mobiliar möglicherweise bekannt vorkommen.
Das Museum besteht natürlich in erster Linie aus hands on-Exponaten. Dabei darf natürlich der Klassiker „Pong“ nicht fehlen, für den man als Kind im Italienurlaub Automaten noch mit 100-Lira-Münzen gefüttert hat bis man zu Weihnachten endlich die eigene Konsole an den Fernseher anstecken konnte. Im Wochenendhaus funktionierte das Game dann auch auf dem tragbaren SW-Fernsehgerät. Das erhöhte die Besuchsfrequenz der Nachbarkinder – zur Freude der Eltern – massiv. Auch die Atmosphäre einer Spielhalle mit ihren Videoautomatenspielen, in der man sich als Schüler zu erlaubten und unerlaubten Zeiten herumtrieb, wird im Museum lebendig. Ohne mit der Wimper zu zucken löschte man damals aus dem Cockpit eines Kampfbombers ganze Städte aus.
Quälte man sich auf seinem ZX-Spectrum noch mit Audiokassetten als Datenträger herum, so lösten zuerst die biegsamen 5,25 Zoll-Disketten und später die starren 2,5 Zoll-Disketten viele Probleme und im Laufe der 1990er Jahre kamen dann die optischen Datenträger (CD-ROM) hinzu, deren vergleichsweise riesiges Datenvolumen Multimedia-Effekte erlaubte.
Nintendo- und Sega-Games gehörten dann schon zur frühen Generation Y rund um die Jahrtausendwende. Ein Sega Rally Championship-Automat von 1994 steht stellvertretend für diese Epoche. Für die Anschaffung des nicht ganz so kostengünstigen Exponates legten Besucherinnen und Besucher freiwillige Spenden zusammen, damit es auch für die Twin-Version reichte, welche ein Highlight der Sonderausstellung „Aufschlag Games“ bildete. Der Besuch ist nicht nur Jugendlichen und Spielebegeisterten zu empfehlen, sondern auch technikaffinen Älteren (wer hat damals nicht den Joystick gewürgt?) und wer weiß: Vielleicht holt sich der eine oder andere Spieledesigner aus älteren Szenarien sogar noch eine kleine Anregung?
Bei meinem Besuch war am Besuchertresen leider keine deutsch- oder englischsprachige Begleitpublikation des Museums zu ergattern (Doch doch, auch dort wird noch Papier bedruckt). Vermutlich schlummerten alle Exemplare in einem Depot oder waren vergriffen. Und leider bin ich nicht der polnischen Sprache mächtig. Der Standard-Eintritt in die ca. 500 Quadratmeter Stellfläche kostete zehn Euro. Mehr ist auf der Homepage ↗ computerspielemuseum.de zu erfahren.
Eingestellt am 31.10.2023