The Entropy Cage (10/2014)
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von Emmanuel King Turner | |||
Publisher: | keine |
In einer Welt, die von der Straßenampel bis zum Nahverkehrszug künstliche Intelligenzen steuern, wird ein KI-Psychiater benötigt. Diese Aufgabe übernimmt der Spieler u.a. mit seiner Macht, Fehlverhalten dieser »subs« zu bestrafen. Doch diese proben den Aufstand... Eine Simulation des Sozialverhaltens künstlicher Intelligenzen als Beitrag zur 20. IF-Comp 2014, der unter dem Pseudonym »Stormrose« erschienen ist und den 14. von 42 Plätzen belegte.
Inhalt/Feelies: | Walkthrough |
Plattformen: | Twine, Online |
Downloadlinks: | ✦ ↗ Aktuelle Version online spielen (Externer Link!) ↗ Alle IF-Comp 2014-Spiele |
Weblinks: | ↗ Review von Herr M. vom 01.11.2014 ↗ Postmortem-Diskussion vom 18.11.2014 ↗ IFDB |
» Genres » Humor » Satire
» Genres » Science Fiction » Endzeit
» Spieler-Charaktere » Hacker/Computerfreak
» Technik » One-Room
» Technik » Rollenspiel-Elemente
» Internationale Wettbewerbe & Projekte » Interactive Fiction Competition » 20. IF-Comp 2014
Review von proc 23.10.2014 ausblenden
Dieser Beitrag enthält Spoiler, die den Spielspaß verderben. Wer das Spiel noch nicht gespielt hat, sollte nicht weiterlesen.
Dieses erstaunliche Twine-Spiel handelt von einem Cyber-Psychiater in einer Welt der künstlichen Intelligenzen, die von Ampelanlagen über Fahrstühle bis zu Eisenbahnen die digitale, also die ganze Welt steuern. Diese Subroutinen agieren wie kleine intelligente Lebewesen, die ihre jeweilige Aufgabe erfüllen und dafür Lob und Tadel erhalten und im Zweifelsfall auch eingefroren oder gekillt werden können. Der Spieler agiert dabei durchweg auf einem simulierten Computerterminal und kann dabei mit seinem Chef oder den Intelligenzen chatten.
Dabei ist so viel Humor im Spiel, dass es sich nicht mehr eindeutig ins Satire- oder SciFi-Genre einordnen lässt. Es beginnt schon mit dem Cyberprotagonisten, den sein Chef morgens um zwei wegen eines Notfalls weckt, was eine der bislang schönsten Intropassagen der IF-Comp beschreibt: »You drag your bones to the centre of your room. Thankfully the rest of you follows. As a perpertual prisoner of physics, you realise minor decisions can be character building.« Den Humor schwärzt aber so richtig die soziale Stellung der Subroutinen ein, die aus Antidiskriminierungsgründen als »Subs« bezeichnet werden und bei Fehlverhalten bestraft werden können. Nein, mehr noch, sie erflehen Bestrafung wenn mal ein Aufzug abstürzt oder ein Zug entgleist:
256: Hello. I have been bad. Punish me.
user> sub.punish()
So wirkt der Spieler je nach Standpunkt als Aufseher im Gulag oder Meister in einem BDSM-Studio um die Subs zu kontrollieren. Neben der Bestrafung stehen bei 101%-iger Sollerfüllung auch die Anpreisung oder bei schwerem Defekt Einfrieren oder Killen zur Verfügung. Das wird in dieser Nacht exzessiv geübt, wie der Chef ausführt: »Subs going crazy. Never seen anything like this. We need you here now.«
An diesem Punkt beginnt eine wunderbare Geschichte, die ich so noch nicht erlebt habe (außer, in anderer nicht weniger wunderbarer Weise, in The Elfen Maiden oder in Endless, Nameless) und für die Twine geradezu geschaffen scheint: In einem unglaublichen Pacing übt sich der Spieler in minimalistischer Terminal-Sprache zunächst vor allem in wiederholten Bestrafungsaktionen und steigert sich langsam in weitere Optionen, wobei die Subs vorerst noch bloßes Fehlverhalten zeigen – freilich mit weitreichendem Schaden an Mensch und Material. Das Spiel beschleunigt geschickt, indem die Subs nach und nach ein Eigenleben entwickeln und zum Ende hin nicht nur gegen das System aufbegehren, sondern Fraktionen bilden und sich gegenseitig bekämpfen. Das in einer derart humorvollen Weise, dass ich mich mehrfach vor Lachen unter den Tisch gelegt habe: So verändert eine Fraktion beispielsweise den Systemkernel vom Hexadezimal- auf ein Base-17-System, wodurch das zusätzliche Digit 'g' eingeführt wird, das unser Psychiater nicht verarbeiten kann. Aber eben auch die andere Fraktion nicht.
Man muss das Spiel schon mehrfach durchtickern, um einen groben Überblick zu gewinnen: Letztlich bilden sich durch Spielerentscheidungen mehr oder weniger befördert zwei Sub-Fraktionen, deren eine einen deterministischen und deren andere einen stochastischen Ansatz verfolgt: Die Deterministen wollen eine totalitäre Demokratie, in dem das »gute Leben« einer Mehrheit der Subs das der Minderheit bestimmt, die Stochastiker bestehen aber auf einer individualistischen Lebensweise im »Wahren Zufall«, der zukünftige neue Lern- und Erkenntnismöglichkeiten offenhält, wobei die Deterministen freilich auch einem zufälligen Zufallsgenerator entgegenwirken. Je nach psychiatrischer Tätigkeit wird eine der beiden Fraktionen befördert und das Spiel kippt zum Ende in einen kulturlosen Determinismus ohne Literatur oder Kunst (was bei den Deterministen nur unnütz Speicher verbraucht) oder hält einen menschlichen Weg offen. Ich gebe jedoch zu, letzteres Ende trotz mehrfacher Versuche nie erreicht zu haben. Ein faszinierendes, ein grandioses Twine-Spiel, das sich auf humorvolle und pointierte Weise einem Grundproblem der Künstlichen Intelligenz nähert und in zwanzig Minuten durchspielen lässt. Der Autor spricht dabei vom Krieg der KI-Religionen, das kennen wir ja seit 9/11.
Zuletzt geändert am 23.10.2014 04:45 Uhr.