en Aotearoa (09/2010)

Textadventure ★★★★★★★★☆☆   [?]
von Matt Wigdahl
Publisher:keine

Die zwölfjährige Spielerfigur Tim Cooper wurde auserkoren, mit einer Gruppe den alten Kontinent Aotearoa mit seinen Dinosaurieren und anderem urzeitlichem Getier zu erkunden. Doch er wurde von seiner Gruppe getrennt und muss nun mit dem Schiff zur Rieseninsel. Es sinkt. Für die Erkundung der urzeitlichen Rieseninsel auf der Suche nach Zivilisation steht ihm ein Māori als Berater zur Seite. Siegerbeitrag der 16. IF-Comp 2010 und der Miss Congeniality 2010 Awards (zusammen mit Death Off the Cuff), zudem räumte das Spiel sieben Oskars bei den XYZZY Awards 2010 in den Kategorien Best Game, Best Setting, Best Puzzles, Best NPCs, Best Individual Puzzle (Crossing the river), Best Implementation und Best Use of Innovation ab und ist damit das beliebteste je bewertete Spiel überhaupt.

Review von proc 14.10.2010

Inhalt/Feelies:PDF Haere Mai!-Magazin Cover-Feelie
GlkOte-Stylesheet für Quixe/I7
Plattform:Glulx
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» Genres » Historisch » Urzeit
» Spieler-Charaktere » Kinder & Babys
» Spieler-Charaktere » Verschollene & Gestrandete
» Schauplätze » Insel
» Themen » Spiele für Kinder
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Review von proc 14.10.2010     ausblenden

Dieser Beitrag enthält Spoiler, die den Spielspaß verderben. Wer das Spiel noch nicht gespielt hat, sollte nicht weiterlesen.

Matt Wigdahl begann im vergangenen Jahr sein erstes IF-Experiment Grounded in Space über die selbstgebaute Rakete eines Jugendlichen, die versehentlich im Gewächshaus landet und das Spiel auf den 10. IF-Comp-Platz beförderte. Das späte Debüt verwundert, weil er nach eigenen Angaben Betatester für Infocom-Spiele war, wie der Hilfe-Sektion von Aotearoa zu entnehmen ist. Diesmal ist die Spielerfigur ein Kind vom Schlage eines Wesley Crusher.

Hier beginnen die Spoiler.

Darf ich vorstellen, ich bin der 12-jährige Tim Cooper und befinde mich auf einem Schiff nach Aotearoa, ein Kontinent, den es heute noch geben könnte. Wäre er nicht in der Kreidezeit im Pazifik versunken. Die Hilfesektion bietet weitergehende Informationen über diese »alternate history«, heute in diese letzte Bastion der Dinosauriere und Urgetiere einsinken zu können: Die Reste dieses Kontinents heißen heute Neuseeland und die Erdgeschichte hätte sich auch etwas anders entwickeln können. Da Wigdahl dies pädagogisch wertvoll vermittelt, kann ich mir die Anmerkung nicht verkneifen, dass die starken Indizien auf einen Meteoriteneinschlag vor 65 Millionen Jahren und der dadurch beförderte Aufstieg der Säugetiere in dieser Geschichte ausgeblendet sind. Ich nehme sie also als eine von Jurassic Park inspirierte Story, die Kindern die heutige Möglichkeit einer solchen Welt mit wissenschaftlichen Argumentationen suggerieren soll.

Die Geschichte ist vermischt mit dem polynesischen Volksstamm der Māori, die vermutlich im 13. Jahrhundert Neuseeland als eine der letzten menschenleeren Gegenden der Erde besiedelt haben und deren Markenzeichen maskenhafte Tatoos im Gesicht sind. Wigdahl benutzt sie als Urvolk dieses Kontinents in einer Geschichte mit pädagogischen Ansätzen von »Avatar« oder »Der mit dem Wolf tanzt«: Weltbürger betritt ein primitives Volk und wächst an dessen Spiritualität und Naturverbundenheit. Zur Untermauerung ist dem Spiel ein Lexikon der Māori-Sprache beigefügt, von deren Begrifflichkeiten der Autor regen Gebrauch macht. Das Spiel ist daher auch nur in einem Glulx-Interpreter spielbar, der UTF-8 beherrscht. Mein GIT 1.2.4 (Windows) gehörte nicht dazu, der aktuelle Filfre 0.988 ging dann aber.

Das Spiel wirkt recht linear: Tim gehört zu einer Gruppe von weltweit nur 100 prädestinierten Kindern, die den Kontinent und seine Flora, Fauna und Tierwelt untersuchen dürfen. Es klingt wie die Projektion der Wunschvorstellungen eines Vaters auf seinen kleinen Sohn, die sich auch in dessen Begleiter spiegeln: Tim verpasst seinen Flug und muss mit dem Schiff reisen. Dort trifft er seinen Begleiter Eruera, ein Māori, dessen Geschichte sich als äußerst amerikanisch darstellt. Er ist auf einem kleinen Dorf groß geworden und wollte unbedingt aufs College, die einzige Möglichkeit war eine vierjährige Verpflichtung bei den Streitkräften. Sie ermöglichten ihm jene Bildung, die seinen Eltern versagt geblieben war, und er konnte dadurch zwei Jahre lang als Umweltschützer auf dem Kontinent arbeiten. Das klingt nach einer Hollywood-Schnulze.

Das Schiff, das zuvor nach einem Sandwich durchforstet werden soll, weil Tim Hunger verspürt und immer wieder an dieses Sandwich erinnert wird, geht unter. Allerdings erst nach Verzehr des gefundenen Mahls. Die Logik, irgendwo in einem fremden Schiff irgendein Sandwich, das einem nicht gehört, finden und dieses dann auch noch futtern zu müssen, obwohl der erste Biss beim Eintippen des Befehls einen schimmligen Geschmack hinterlässt, scheint aber für ein amerikanisches Kinderspiel in Ordnung zu sein. Wird dann auch noch ein Rucksack mit allerlei Inventar gefunden, geht das Schiff endgültig unter. Im weiten Ozean ist das Inventar respektive Rucksack freilich nicht mehr vorhanden, für ein solches Kinderspiel ist aber das Gegrübel über den Sinn der retrospektiven Rucksackfindung entbehrlich. Vielleicht hätte ich ihn ja auch gar nicht finden müssen, in drei Durchgängen ist das Schiff aber erst nach Lösung dieses sinnfreien Rätsels untergegangen.

Und dann die Texte, die Texte, ich mag diese langen Beschreibungen, Schilderungen, Retrospektiven, Schullektionen und Dialoge nicht, die eine an sich gute Handlung regelrecht zuschütten können. Man tippt im Schnitt acht Zeichen ein und bekommt, ebenfalls durchschnittlich, eine Bildschirmseite heraus. Dies dürfte auch die mutmaßliche Zielgruppe der amerikanischen Kiddies überfordern. Und dann bin ich auch noch ein Europäer, der Englisch spricht wie der Türke von nebenan deutsch und dem die Finger von Eingaben in dict.leo.org rauchen. Okay, das Schiff ist gesunken, ich habe mir nach wortreichen Erläuterungen eine herangetriebene Schwimmweste aus dem Ozean gefischt, die sich nur nehmen, aber nicht tragen lässt und bin nach einer quälend langen Schwimmübung mit Daddy-Fantasien schließlich am Stand gelandet. Da liegt dann auch der verkappte GI Eruera mit gebrochenem Bein, der sich mit mir recht oberlehrerhaft unterhalten kann. Er erklärt auf Nachfrage die Insel, Flora, Fauna und Dinos, Naturverbundenheit und Maoistische, Verzeihung, Māoristische Kultur und schickt mich an einen dreißig Meilen entfernten Ort, um Hilfe zu holen. Denn seine Verschwörungstherorie lautet: Wilderer haben das Schiff versenkt, diese seien mit schweren Waffen bestückt, zu denen auch Raketen gehören. Es eile, die lümmeln sicher noch im Wald herum. Spätestens hier sollte man vor diesem Kinderspiel Respekt bekommen!

Ich kürze jetzt ab: Man kann im Wald herumlungern, über Bäume klettern und allerhand Dinos mit ihrem Māorischen Namen in Kontakt kommen, doch die Lösung findet sich erst mit Hilfe eines GPS-Geräts. Freilich ohne Batterie. Die liegt im Nest eines Dinos mit unaussprechbarem Namen, die sich im Spiel generell umbenennen lassen. Ich habe ihn Tiniponokakape genannt, ein sehr viel einfacher zu merkender Name. Mir ist es nach drei Durchgängen selbst mit Hilfe des Walkthroughs nicht gelungen, die Batterie in das GPS einzulegen, auch wenn beides vor mir liegt. Vielleicht bin ich zu blöd dazu, vielleicht handelt es sich wie so einiges mehr um einen Programmierfehler. So legt das Spiel mir nahe, Eruera über sich zu befragen:

> ASK ERUERA FOR HIMSELF
Who do you mean, 1) himself or 2) himself?

Beide Möglichkeiten führen zu Unverständnis. Mit TALK geht's besser, ich frage zur Insel

> TALK ABOUT AOTEAROA
Which do you mean, 1) Aotearoa 4 Kids! or 2) Aotearoa?
>1
(Aotearoa 4 Kids!)
"I'm sorry, Tim. I don't think I can help you much with that."

Gleiches für Auswahl 2. Die Ultimative Lösung am Rande der Verzweiflung und vor allem an der Grenze zur begrenzten zweistündigen Spielzeit gefällt mir aber schon wieder:

> XYZZY
Gesundheit!

Ich weiß im Moment nicht, was ich von diesem Spiel halten soll. Es ist weitgehend gut gemacht und tief implementiert, nutzt Aaron Reeds Syntax Highlighting und Eric Eves Exit Lister, es hat einen Tutorial Mode, die komplizierten Namen lassen sich umbenennen und es gibt ein gutes Hinweissystem. Das Spiel ist gut gemeint. Andererseits hat es für mich zu viele Fehler, wirkt linear und viel zu langatmig geschrieben. Es hat mir nicht wirklich gefallen, aber die funktionierenden Teile waren nun auch nicht schlecht, und die Māori in einem IF-Game erscheinen mir als inhaltliche Innovation. Es gehört sicher zu den besseren Spielen, an dem aber noch einiges nachgearbeitet werden müsste.

Zuletzt geändert am 15.10.2010 20:35 Uhr.

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