Die Inform-Competition

> Die IF-Comp als Seismometer der IF-Community

von Martin Barth

Die jährlich im Herbst stattfindende IF-Competition hat das Gesicht der modernen Interactive Fiction geprägt wie keine andere Institution. Ein Blick auf die Feinstruktur der Wettbewerbsbeiträge seit 1995 zeigt sehr deutlich, wie sich die IF-Community in eine Inform-Community wandelt. Und zwar seit 2006, dem Geburtsjahr des Inform 7-Autorensystems mit seinem Ansatz der natürlichsprachigen Programmierung.

Das Gesicht moderner IF

Die 1995 von Gerry Kevin Wilson begründete IF-Comp ist heute eine Institution der IF-Community. Der Begründer des SPAG-Magazins regte damals in der Newsgroup rec.arts.int-fiction einen Wettbewerb nach Vorbild des 1993 eingestellten Softworks AGT Contest an und organisierte diese erste IF-Comp schließlich für Herbst 1995. Als Rollenspiel-Programmierer in der Spieleindustrie konnte er die sechs Siegerbeiträge über seine Kontakte zu Activision in deren Spielesammlung »Masterpieces of Infocom« (1996) unterbringen – der schönste Preis, den es in der Geschichte der IF-Comps je gab. In 16 Jahren brachte der begehrteste IF-Wettbewerb 535 Spiele hervor, die das Gesicht der modernen Interactive Fiction bis heute prägen.

Die erste IF-Comp war noch in zwei Divisionen für die jeweils sechs eingereichten TADS- und Inform-Spiele geteilt, die zwei ausgefeiltesten Autorensysteme der Zeit. Die getrennte Abstimmung lief auf eine Art Bestandsgarantie für das ältere TADS hinaus, dem Graham Nelsons Inform seit 1993 nach und nach den Rang ablief. Als es im Folgejahr diese Aufteilung nicht mehr gab, lieferten die eingereichten Beiträge einen realistischen Querschnitt: den fünf TADS-Spielen standen 16 mit Inform erstellte Z-Code-Spiele und fünf Spiele anderer Systeme gegenüber.

And The Winner Is: Glulx

Dieses Verhältnis hat viele Jahre fortbestanden, doch seit 2006 sind TADS und andere Systeme auf dem Rückzug. So steht ein Gewinner der 16. IF-Comp 2010 jetzt schon fest: Glulx. Die 1999 von Andrew Plotkin eingeführte virtuelle Maschine ist eine Art erweiterter Z-Code, jenem Dateiformat der begehrten Infocom-Spiele, adressiert jedoch 32 statt 16 Bit und kann daher mit Spielen vom Umfang nahezu einer ganzen DVD sowie mit Grafik, Sound und Fließkommaoperationen umgehen. Der Trend hin zu komplexen und umfangreichen Spielen sowie zur Einbindung von Multimedia-Elementen ist seit 2007 ungebrochen, so steigerte sich der Anteil der Glulx-Spiele bei den IF-Comps von unter 6% vor 2007 beständig auf 35% in diesem Jahr. Die im Inform-Autorensystem erstellten Spiele wuchsen damit auf der IF-Comp 2010 auf einen Rekordanteil von 85%. Der Anteil der Z-Code-Spiele pendelt dabei bis heute relativ konstant bei etwa 50%, doch mit der Veröffentlichung von Inform 7 im Frühjahr 2006 ist das Glulx-Format immer beliebter geworden.

Systemanteile an den IF-Comps 1995-2010

Systemanteile bei den IF-Comps

Im Diagramm werden die prozentualen Anteile der mit Inform erzeugten Z-Code- und Glulx-Spiele (blau), der TADS-Spiele (orange) und anderer Systeme wie ADRIFT, MS-DOS oder Alan (grau) an den IF-Comps dargestellt

Gleichzeitig schwand in den vergangenen Jahren der Anteil an TADS-Spielen. Dieses von vielen Autoren für seinen feinen Parser gelobte Autorensystem hat zwar ebenfalls Multimedia-Fähigkeiten, die Spiele können jedoch nicht online gespielt werden, mobile Geräte haben Schwierigkeiten damit und die Software gilt als unübersetzbar. Auch sinkt die Zahl der IF-Comp-Beiträge seit der Jahrtausendwende tendenziell, nicht jedoch die Zahl der mit Inform erstellten Spiele. In diesem Jahr etwa gab es zum ersten Mal keine ADRIFT-Spiele mehr, zuvor wurden im Schnitt 3 davon jährlich eingereicht. Das letzte Alan-Spiel liegt zwei Jahre zurück, Hugo-Spiele blicken gar auf beitragsfreie vier Jahre zurück. Dieses Jahr gab es nur ein TADS-Spiel, letztes Jahr gar keins – zuvor im Schnitt 7 jährlich. Die IF-Comp ist zu einer Inform-Comp geworden.

Die Inform 7-Generation

Eine zweite Entwicklung verstärkt diesen Eindruck: Zum ersten Mal in der Geschichte der IF-Comps ist die Zahl der Debütanten geringer als die Zahl der »alten Hasen«, die zuvor schon ein Spiel veröffentlicht haben. Nur elf der 28 Autoren veröffentlichten zum ersten Mal ein Spiel, insgesamt waren es 10 oder vielmehr neuneinhalb von 26 Beiträgen. Damit setzt sich der Vorjahrestrend fort. Sind die Spiele anspruchsvoller und komplexer geworden, so dass Einsteiger andere Wege suchen als den Spießrutenlauf durch die zahlreichen messerscharfen Reviews der IF-Comp?

Debütantenanteile an den IF-Comps 1995-2010

IF-Comps Autorenstruktur

Anteil der IF-Comp-Autoren, die noch nichts, erstmals im selben Jahr (blau) oder im Vorjahr (lila) ein Spiel veröffentlicht haben im Verhältnis zu den »alten Hasen« (orange) mit bereits länger zurück liegenden Debüts

Ein Blick auf die Debütbeiträge zeigt in der Tat hohe Ansprüche der Autoren an sich selbst: Unter ihnen sind herausragende Beiträge wie The Blind House von Maude Overton, Divis Mortis von Lynnea Dally, Gris et Jaune von Steve van Gaal oder One Eye Open von Debüt-Mitautor Colin Sandel, andere handwerklich hervorragende Beiträge wie Gigantomania von Michelle Tirto und Mike Ciul dürften überdurchschnittlich abschneiden. Im Vorjahr räumten sieben der 13 Debütbeiträge die Plätze 4 bis 10 ab; Jeremy Freese ging mit Violet 2008 als Sieger aus der IF-Comp und acht weitere Debütanten nahmen die obere Hälfte des Rankings ein. So geht es weiter, 2003 nahmen die Debütanten gleich das ganze Siegertreppchen und insgesamt sechs der ersten zehn Plätze mit.

Der Debütanspruch hat sich nicht geändert, ein Blick auf die von Debütanten verwendeten Systeme liefert eine kaum überraschende Antwort: Je weniger Spiele abseits von Inform und TADS eingereicht werden, umso weniger Debütanten können gezählt werden. Tatsächlich wurden auch in diesem Jahr alle drei Beiträge dieser Art von Debütanten eingereicht: Leadlight von Wade Clarke und The Sons of the Cherry von Alex Livingston sind im Web-Browser spielbar, R (»Arrr...«) eines anonymen Briten ist ein Windows-Spiel im Apple II-Stil. Ihre Zahl schwindet seit 2006, als noch jedes dritte Spiel dazu gehörte. Heute ist es jedes neunte. Wer MS-DOS-, Web-Browser- oder Commodore 64-Spiele in die Welt setzt, sucht sich heute andere Möglichkeiten zur Veröffentlichung seiner Hervorbringungen.

Fazit

Graham Nelsons natürlichsprachiger Wurf von 2006 hat zweifelsfrei zu Verwerfungen der IF-Community hin zu Inform und insbesondere Inform 7 geführt, die IF-Community besteht heute weitgehend aus Leuten, die man als »Inform 7-Generation« bezeichnen kann. Aaron Reeds neues Buch handelt von Inform 7 und von nichts anderem, David Cornelsons Textfyre-Entwicklungen für mobile Geräte beruhen auf Glulx und Inform 7 und die Bostoner PAX East-Messe im März 2010 kann als Apotheose des Inform 7-Systems interpretiert werden. Andrew Plotkin machte sich jüngst als Glulx-Spieledesigner für iPhones selbständig. Es geht in den Diskussionen nicht mehr um die Entwicklung der Interactive Fiction, es geht um die Entwicklung von Interactive Fiction mit Inform 7. Die IF-Community ist seit dem großen Wurf von Graham Nelson und seinen Mitstreitern auf dem Weg zu einer Inform 7-Community, das zeigen die Beiträge der diesjährigen IF-Comp besonders deutlich.

Erschienen in The Parser Jg. 1 (2010), N° 2, November 2010, S. 5 f.