Cromwell House
> Aus dem Textadventure-Kriminalarchiv
von Ingo Scharmann
1985 veröffentlichte Ariolasoft eine Reihe deutschsprachiger Textadventures für Ataris 8-Bit Rechner und den Commodore 64. Die von Axis Komputerkunst entwickelten Spiele nutzten einen Großteil des damals knappen Rechenspeichers für Grafiken und besaßen daher nur sehr kurze Texte. Eine Ausnahme waren die von dem Hamburger Journalisten Jürgen Römer geschriebenen Detektiv-Adventures Cromwell House (1985) und das 1986 veröffentlichte Mord an Bord, die sich beide auf nur auf Texte beschränkten.
Was geschah mit Lord Higginbottom?
Als ein Angehöriger Scotland Yards wird der Spieler in Cromwell House zur Villa des Lord Higginbottom gerufen, denn eine ebenso geschwätzige wie verängstigte Nachbarin des Lords ist überzeugt, auf dessen Anwesen einen Schuss gehört zu haben. Bei den Ermittlungen, die auf der Auffahrt des Grundstücks beginnen, muss der Spieler neben der mehrgeschossigen Villa auch den umliegenden Garten inspizieren und findet bald – so viel sei verraten – die übel zugerichtete Leiche des Hausherrn. Als Verdächtige kommen neben der jungen Gattin des Lords, Lady Higginbottom, noch die Haushälterin und der Butler in Frage. Im Verlauf des Spiels meldet sich unser ungeduldiger Vorgesetzter per Telefon, um den Namen des Täters zu erfahren. Wenn alle Beweise im Haus aufgespürt wurden, sollen wir Scotland Yard zurückrufen und das Ergebnis der Ermittlungen melden. Also gilt es, die rund 50 verschiedenen Schauplätze zu untersuchen, verschlossene Türen zu öffnen sowie versteckte Hinweise und Spuren zu entdecken. Ein entscheidender Hinweis ist dabei besonders schwer zu finden, da hierzu ein Objekt untersucht werden muss, das man an dieser Stelle zwar vermuten kann, das aber nicht in der Raumbeschreibung erwähnt wird.
Kleiner Wortschatz, feine Texte
Verglichen mit den damaligen Spielen von Infocom oder Top-Titeln wie dem ebenfalls 1985 veröffentlichten The Pawn von Magnetic Scrolls war Cromwell House sicher kein technisches Schwergewicht. Wie es bei deutschsprachigen Spielen zu jener Zeit noch üblich war, stand dem Spieler nur ein Zwei-Wort-Parser zur Verfügung. Auch der Wortschatz war mit 24 Verben und rund 100 Substantiven recht begrenzt. Was das Spiel jedoch von der Masse der deutschsprachigen Textadventures abhob, waren seine mit geheimnisvollen Andeutungen und falschen Fährten gespickten Texte, die sehr atmosphärisch sind und trotzdem das Krimi-Genre mit einem ironischen Augenzwinkern einfangen. Obwohl die einzige Person, auf die der Spieler im Haus stößt, eine Leiche ist, gelang es Jürgen Römer, die Villa nicht leblos wirken zu lassen. Indem die Beschreibungen von Räumen und Objekten viele Details aus dem Alltag der Bewohner verraten, geht die Erzählperspektive auf raffinierte Weise weit über das hinaus, was ein Inspektor tatsächlich in einem solchen Fall in Erfahrung bringen könnte.
Schallplatte oder Spiel?
Ein wahrer Eye-Catcher im Händler-Regal waren die großformatigen Covers, in denen Ariolasoft Cromwell House und die anderen Axis-Spiele auf den Markt brachte. Außerlich waren sie mit Schallplattenhüllen identisch, so dass man große Sticker mit der Aufschrift »Computer Software« aufklebte, um Missverständnissen beim Kauf vorzubeugen. Für die rund 80 Mark, die Cromwell House kurz nach der Veröffentlichung kostete, erhielt der Spieler außer der Disk noch einen Plan, der neben dem Garten der Villa für jede Etage eine Grundriss-Zeichnung zeigt. Ein weiterer Papierbogen enthielt zahlreiche Tatort- und Beweisfotos.
Erschienen in The Parser Jg. 1 (2010), N° 2, November 2010, S. 16.
The Parser N° 2
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Journal für Interactive Fiction