The Guild of Thieves

> Unterwegs in Diebesangelegenheiten

von Ingo Scharmann

»Why buy this game when you could steal it?« wird auf der Packungsrückseite von The Guild of Thieves gefragt. Die Antwort, die man erhält, ist ernüchternd: Weil man ein Amateur sei. Weil man es schlicht nicht könne. Die Sache würde allerdings schon anders aussehen, wäre man ein Mitglied der berüchtigten Guild of Thieves.

Übung macht den Meisterdieb

Genau dies, ein Mitglied der Diebesgilde zu werden, ist die Aufgabe des Spielers in diesem Textadventure-Klassiker von 1987. Hierzu wird der Prüfling von der Gilde beauftragt, eine Reihe von Wertgegenständen aus einem Schloss und dessen Umgebung zu stehlen.
Das Spiel war nach The Pawn die zweite Veröffentlichung der britischen Entwickler Magnetic Scrolls. Wie ihr Erstlingswerk spielt auch The Guild of Thieves in dem Fantasy-Reich Kerovnia. Zu Beginn befindet man sich in einem kleinen Boot in der Nähe eines Uferstegs. Auch der Gildenmeister ist an Bord. Während er mich geringschätzig anblickt, erteilt er letzte Instruktionen. Das erste kleine Rätsel ist schnell gelöst: Ich ziehe an dem Seil, das Boot und Steg verbindet, um den Kahn nahe genug an das Ufer zu bringen. Dann gelange ich mit einem Sprung auf den Steg. Ich bin zu jeder Schandtat bereit und das Abenteuer kann beginnen.

Lange Finger, große Karte

Es gibt viele Schauplätze zu erforschen. Neben einem großen Außenareal gilt es ein Höhlensystem, einen Tempel und natürlich das Schloss zu erkunden. Ein »go to«-Befehl ermöglicht, sich schnell an einen entfernte Stelle zu begeben, ohne jeden einzelnen Raum durchqueren zu müssen. Viele Orte werden durch Grafiken illustriert, deren hohe Qualität seinerzeit für Begeisterung bei Spielern und Kritikern sorgten. Auch heute sind die Bilder noch hübsch anzusehen, allerdings irritieren sie an einigen Stellen, wo sie auch Objekte zeigen, die nicht im Spiel implementiert sind. Ist einer der Wertgegenstände entdeckt, heißt dies noch lange nicht, dass man seiner ohne Probleme habhaft würde. Ein wertvoller Kelch befindet sich zum Beispiel in einem Käfig in Gesellschaft eines Grizzlybärs. Ein Edelstein hängt in einer Höhle an einem Klumpen Wachs und unterhalb des Klumpens ist eine brodelnde, schlammige Pfütze, die den Stein verschlucken würde, fiele er von der Decke herab. Der Schwierigkeitsgrad der Rätsel bleibt vor allem am Anfang recht moderat. Er steigt aber nach einigen Spielstunden schon alleine dadurch an, dass man nun über eine Vielzahl von Gegenständen verfügt, die wiederum an einem der zahlreichen Schauplätze zum Einsatz kommen könnten. Da fällt es nicht leicht, den Überblick zu behalten.

Um die Geschichte beraubt?

Aus heutiger Sicht ist auffallend wie es der Autor Robert Steggles vernachlässigt, dem Spieler eine Geschichte zu erzählen. Zwar sind alle Texte des Spiels gut geschrieben und atmosphärisch, aber den einzelnen Rätseln fehlt ein größerer Zusammenhang, der über das bloße Stehlen und Sammeln der Wertgegenstände hinausgeht. Das Spiel will gar nicht über die einfachen Finde-Schatz-in-Höhle-Storys hinaus, wie sie bei den frühen Textadventures aus der Zeit um 1980 üblich waren. The Guild of Thieves treibt dieses einfache Story-Muster allerdings zur Perfektion und macht ganau aus diesem Grund auch heute noch Spaß.
Von der Presse wurde das Spiel begeistert aufgenommen. Boris Schneider schrieb in der Zeitschrift Happy Computer: »Parser, Grafik, Texte und Bedienkomfort sind Spitzenklasse. Guild of Thieves ist besser als manches Infocom-Adventure«. Nicht nur technisch konnte Magnetic Scrolls Infocom das Wasser reichen. Auch in puncto Präsentation hatten ihre Spiele einiges zu bieten. Als Feelies enthielt die Verpackung ein »What Burglar«-Magazin, eine Bankkarte der »Bank of Kerovnia«, einen humorvoll-bürokratischen Dienstvertrag und einen kleinen Holzwürfel. The Guild of Thieves erschien für eine ganze Reihe damals gängiger Computersysteme wie den C64 oder die 16-Bit-Rechner Atari ST und Amiga. Heute spielt man am besten die PC-Version mit dem DOS-Emulator »DosBox«.

ifwizz.de/318

Erschienen in The Parser 1 (2010), N° 1, August 2010, S. 18.

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