Mysteriöses in Jashpur

> Review zu Ein Fall in Jashpur

von Ingo Scharmann

Oliver Berse, der Mann hinter dem Autorensystem Floyd, nahm am diesjährigen Interactive Fiction Grand Prix mit dem Detektiv-Adventure Ein Fall in Jashpur teil. Es wurde von Spielern wegen seines interessanten Szenarios gelobt, das vor allem Freunde von klassischen Kriminalgeschichten à la Sherlock Holmes ansprechen dürfte. Wir machen uns nochmals auf nach Indien, um das zweitplatzierte Spiel des Grand Prix unter die Lupe zu nehmen.

Per Elefant zum Palast

Indien im Sommer des Jahres 1889: In der Provinz Jashpur scheiterte ein Attentat auf den Sohn des Rajas nur knapp. Die Regierung vermutet politische Motive hinter der Tat und beauftragt Mr. Somerton, dessen Rolle der Spieler übernimmt, von Kalkutta nach Jashpur zu reisen und den Fall aufzuklären.
Das Spiel beginnt, als ich in der Gestalt von Somerton am Bahnhof in Jashpur eingetroffen bin. Nachdem ich ein wenig die Kunststücke eines Fakirs auf dem Bahnhofsvorplatz bestaunt habe, steige ich auf einen Elefanten, der mich zum Anwesen des Rajas bringen soll. Noch unterwegs erfahre ich von meinem Begleiter weitere Details zu dem Anschlag. Durch diesen Einstieg ins Spiel gelingt es Oliver Berse hervorragend, gleich zu Beginn Spannung aufzubauen. Durch die atmosphärischen Beschreibungen der exotischen Szenerie wird der Spieler auf dem Rücken des Elefanten regelrecht in die Geschichte »hineingetragen«.
Nach der Ankunft am Palast beginnt Somerton mit seiner Untersuchung. So kann man sich zum Beispiel im Garten umsehen oder die Bewohner des Hauses, die sich sich brav und genretypisch im Teezimmer versammelt haben, nach verschiedenen Stichworten befragen, um Näheres zum Fall zu erfahren.

Viel Potenzial, wenig Spiel

Die Geschichte bleibt auch im weiteren Verlauf spannend, auch wenn der anfängliche Detailreichtum nicht über das ganze Spiel aufrecht erhalten wird. Die Geschichte, die Berse mit Ein Fall in Jashpur erzählt, besitzt sehr viel Potenzial und man merkt, dass sich der Autor mit vielen guten Ideen und einem Auge für Details ans Werk gemacht hat. Nur scheint so viel Story nicht in so wenig Spiel hineinpassen zu wollen, und so wirkt die eigentlich spannende Geschichte, die gegen Ende eher an H. P. Lovecraft erinnert als an Agatha Christie oder an Arthur Conan Doyle, an manchen Stellen zu knapp erzählt. Nach Spielende hat man dadurch das Gefühl, noch zu wenig über die Hintergrunde der Tat und die Verstrickungen des Täters erfahren zu haben. Dass die Story nicht vollständig ausgearbeitet wurde, wird dem Zeitdruck geschuldet sein, unter dem der Wettbewerbsbeitrag vermutlich entstand.

Das Finale

Die Rätsel, die Somerton zur Klärung des Falls lösen muss, passen gut in den Spielfluss, sind fair gestaltet und nicht zu schwierig, so dass ein geübter Spieler schon recht bald eines der leicht voneinander abweichenden Enden des Spiels erleben wird. Durch die unterschiedlichen Enden bleibt man motiviert, das Finale der Geschichte zu wiederholen, bis man es auf bestmögliche Weise abgeschlossen hat.

Floyd

Ein Fall in Jashpur basiert auf dem Autorensystem Floyd, das von Oliver Berse und Raimund Seisenberger entwickelt wird. Das System fängt einige gängige Aktionen noch nicht ab, die man von Inform-Spielen gewohnt ist. Um sie trotzdem zu implementieren, hätte es eines größeren Aufwandes bedurft. Sicher hätte eine tiefgreifendere Implementierung dem Spiel gut getan. Aber man muss Oliver Berse Respekt dafür zollen, dass er an Floyd weiterarbeitet und nicht auf die bequemere, da weiter entwickelte Alternative Inform zurückgreift.

Fazit

Die gute Platzierung beim Grand Prix hat das Spiel sicher verdient und ich würde mir ein weiteres Abenteuer in diesem Stil wünschen – vielleicht eine Fortsetzung, in der man wieder in die Rolle von Mr. Somerton schlüpft. Jeder, der etwas für klassische Kriminalgeschichten übrig hat, sollte sich Ein Fall in Jashpur unbedingt ansehen. Das Spiel ist zusammen mit Berses älteren Spielen Nebelmond und Download auf dessen Website zu finden:  www.oliver-berse.de. Dort erhält man auch den benötigten Floyd-Interpreter. Bleibt nur noch zu sagen, dass man auf künftige Projekte von Oliver Berse schon jetzt gespannt sein darf.

Erschienen in The Parser 1 (2010), N° 1, August 2010, S. 17.

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